Chirchli
Das "Chirchli" in Sankt Martin im Calfeisental ist ein bedeutendes Zeugnis der Walserkultur und spiegelt die wechselvolle Geschichte dieser alpinen Siedlung wider.
1312: Errichtung des Kirchleins St. Martin als Pfarrkirche mit Ewigem Licht durch die Walser, die Anfang des 14. Jahrhunderts ins Calfeisental eingewandert waren.
1472: Erste urkundliche Erwähnung der Martinsalp (Brändlisberg) als Kirchengut.
16. Jahrhundert: Aufgrund verschärfter klimatischer Bedingungen und anderer Herausforderungen beginnt die Abwanderung der Walser aus dem Calfeisental in benachbarte Regionen wie Weisstannen, St. Margrethenberg und Gams.
1652: Die letzten Bewohner, Ursula Sutter und ihre beiden Söhne, verlassen Sankt Martin und ziehen nach Vättis. Das Kirchlein bleibt bestehen, und das Ewige Licht erlischt. Seither liest der Pfarrer von Vättis im Kirchlein während des Sommers einige Messen. Auch heute noch – wie vor alter Zeit – ist am Sonntag nach St. Jakob (25. Juli) in St. Martin das Kirchweihfest mit Messe, Musik und anschliessender Chilbi. Der Sonntag heisst „Jakobi – Sunntig“
1955: Umfassende Restaurierung des Kirchleins, das anschliessend unter Denkmalschutz gestellt wird. Der Altar aus dem Jahr 1709 wird erneuert, und die Originalstatuen des heiligen Martin und des heiligen Pirmin werden durch Nachbildungen ersetzt; die Originale befinden sich im Museum in Vättis.
Beinahe wäre das Walserdorf mit der Kirche St. Martin dem Stausee zur Stromgewinnung zum Opfer gefallen. Man suchte breits ein neuen Standort. Dank der Projektänderung zugunsten eines kombiniertes Speicher- und Pumpspeicher-Sitzenkraftwerk wurde es nicht mehr nötig St. Martin zu fluten.
Der Höhepunkt beim Kirchli St. Martin ist der traditionelle Jakobisonntag, an dem in einem Festgottesdienst mit der Musikgesellschaft Vättis das Patrozinium des Kirchlis gefeiert wird.
Der Heilige St. Martin
Wegen eines Wunders, unversehrt mit seinem Pferd vom Ringelspitz gesprungen zu sein, wird Martin als Heiliger verehrt. Als solcher ist er auch Patron der St.-Martins-Kapelle, in welcher ihm ein Standbild zu Pferd errichtet ist. Der Kirchenverwaltungsrat von Vättis kleidet dasselbe alle Frühjahre mit einem roten Reitermantel. Während des Sommers kommen die Alpenbesitzer und schneiden je ein Stück davon ab, weil es gut gegen Krankheiten und Viehseuchen sei, sodass der heilige Martin im Herbst wieder entblösst auf seinem Pferde sitzt.
Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, 1903
1975: Klemens Nigg, damaliger Eigentümer der Siedlung, renoviert und revitalisiert Sankt Martin, wodurch das Dorf zu neuem Leben erwacht.
Beinhäuschen
Im kleinen Beinhaus werden noch die Gebeine der einstigen Dorfbewohner Suter, Thoni, Nufer usw. aufbewahrt, die man im Friedhof ausgegraben hatte. Nach einer legende sollten hier einst Knochen von Riesen gelagert worden sein.
- Heute ist das Chirchli eine geschichtsträchtige Sehenswürdigkeit und ein Symbol für das Erbe der Walser im Calfeisental.
- Es wird gelegentlich für besondere Anlässe genutzt, darunter Hochzeiten und besinnliche Veranstaltungen.
- Die kleine Kirche erinnert an die Entbehrungen und den Glauben der Walser, die einst das Tal bewohnten.
Chronik des Chirchli in Sankt Martin im Calfeisental
Mittelalterliche Anfänge (14. Jahrhundert)
- Erste urkundliche Erwähnungen des Calfeisentals stammen aus dem 14. Jahrhundert, als Walser aus dem Wallis das abgelegene Tal besiedelten.
- Die Walser brachten ihre eigene Kultur und ihren Glauben mit und errichteten kleine Siedlungen, darunter Sankt Martin.
- Eine erste Kapelle oder ein einfacher Gebetsraum könnte bereits in dieser frühen Siedlungsphase existiert haben.
Bau der Kirche (17. Jahrhundert)
- Die heutige Kirche von Sankt Martin, liebevoll „Chirchli“ genannt, wurde im 17. Jahrhundert erbaut.
- Der Bau diente den Walsern als spirituelles Zentrum und war ein wichtiger Treffpunkt für die verstreut lebenden Bergbauern.
- Die Kirche wurde vermutlich aus lokalen Materialien wie Holz und Stein errichtet und einfach gehalten.
Blütezeit der Walsergemeinde (18. Jahrhundert)
- Im 18. Jahrhundert lebten rund 150 Menschen in Sankt Martin.
- Gottesdienste und kirchliche Feiern spielten eine zentrale Rolle im Gemeindeleben.
- Das Chirchli wurde regelmässig unterhalten und diente auch als Schutzraum in harten Wintern.
Niedergang der Siedlung und Aufgabe der Kirche (19. Jahrhundert)
- Mitte des 19. Jahrhunderts begann die Bevölkerung des Calfeisentals abzuwandern. Die harten Lebensbedingungen und wirtschaftlichen Herausforderungen zwangen viele Walser, ihre Heimat zu verlassen.
- 1652 wurde das Dorf Sankt Martin endgültig aufgegeben, und das Chirchli verlor seine Funktion als Gemeindekirche.
- Die Kirche verfiel allmählich, blieb aber als historisches Bauwerk erhalten.
20. Jahrhundert: Wiederentdeckung und Erhalt
- In den 1930er Jahren entdeckten Wanderer und Heimatforscher das verlassene Chirchli wieder.
- Erste Restaurierungsmaßnahmen fanden statt, um das Gebäude vor dem vollständigen Verfall zu bewahren.
- Die wachsende Bedeutung des Calfeisentals als Wander- und Naturparadies brachte neues Interesse an der Geschichte des Chirchlis.